Gabi Mitterer. Malerei als Täuschung

Rede zur Eröffnung der Ausstellung Gabi Mitterer: plus minus im sehsaal, 16.1.2024

Eine der berühmtesten Legenden der Kunstgeschichte hat Plinius der Ältere in seiner wahrscheinlich 77 nach Christus fertig gestellten Naturalis Historia überliefert: den Wettstreit von Zeuxis und Parrhasius, zwei begnadete Künstler, die ca. 400 vor Christus gelebt haben. Zeuxis malte Trauben derart echt, dass Vögel herbeigeflogen kamen, um an ihnen zu picken. Daraufhin zeigte Parrhasius Zeuxis ein hinter einem Vorhang verstecktes Gemälde. Zeuxis wies seinen Kollegen ungeduldig an, diesen doch zur Seite zu schieben, damit er endlich das Gemälde betrachten könne – bis sich herausstellte, dass eben der Vorhang gemalt war und Parrhasius Zeuxis damit getäuscht hatte. Im Wettstreit dieser beiden Künstler geht es um Kunst, welche die Wirklichkeit perfekt nachahmt, um eine Mimesis.

Auftritt Gabi Mitterer – sie entert nun diesen im alten Griechenland angesiedelten Wettstreit. Auch bei Gabi Mitterer geht es um Täuschung, wie sie selbst sagt: „Bei den im sehsaal zu sehenden Arbeiten geht es um Malerei, die Räumlichkeit oder Ausschnitte davon vortäuscht. (...) Der Aspekt der Täuschung und im Umkehrschluss das Sich-nicht-täuschen-lassen des Betrachters/der Betrachterin thematisiert so auch die Rolle des (rechnenden) Auges, in Zeiten von KI mehr denn je.“

Ich kenne Gabi Mitterer persönlich noch nicht allzu lange, lange bevor ich die Künstlerin persönlich kennengelernt habe, sind mir ihre Arbeiten aber schon aufgefallen. Präzise bzw. technisch hervorragend gemacht sind diese. Ich habe mich gefragt, worin sie denn begründet liegt, die Faszination für diese Arbeiten jenseits dieser technischen Perfektion. Treffen diese Bilder gar einen Nerv unserer Zeit?

Ja, das tun sie. Die Erklärung dafür liegt in unserem digitalen Alltag, in den unendlichen Bildern, die uns täglich vor allem virtuell umspülen. Gabi Mitterer imitiert, so könnte man verkürzt sagen, mit ganz althergebrachten Mitteln der Malerei, also Leinwand, Pinsel und Ölfarbe, digitale Bilder von Räumen und Räumlichkeit. Sie transformiert Seheindrücke, die wir von unseren Screens kennen, in ein langsames und uraltes Medium – die Malerei. Und bei aller Liebe zur digitalen Ästhetik bleibt Gabi Mitterers künstlerische Arbeit trotzig: Wenn man sich die Zeit nimmt, genau zu schauen, ist der Pinselstrich erkennbar. Handgemachte Malerei, die so tut als wäre sie digital, nur besser – weil handgemacht und menschlich. In dem Moment, in dem eine Arbeit von Gabi Mitterer fotografiert wird und sie diese beispielsweise auf Instagram betrachten, gehen wir der Einfachheit halber vielleicht einfach mal von der Einladung für die heutige Vernissage aus, schließt sich dieser Kreis gewissermaßen wieder.

Gabi Mitterer wurde 1967 geboren und hat, nach einer Ausbildung als Kindergartenpädagogin und einigen Jahren beruflicher Praxis als 28-jährige Frau nochmals den Weg retour auf die Universität eingeschlagen und bei Brigitte Kowanz an der Angewandten studiert. Ihr Weg zur Kunst, sagt sie, sei dennoch geradlinig verlaufen. „Ich hab schon als Kind immer wahnsinnig viel gezeichnet, auch Preise gewonnen. Es war irgendwie klar, dass es so enden würde“, erzählt mir die Künstlerin schmunzelnd.

Die Ausstellung im sehsaal trägt den Titel plus minus, der sich auf die optische Höhung und Tiefe in der Fläche bezieht, die Gabi Mitterer mit bloßer Farbgebung erreicht.

Alle im sehsaal präsentierten Arbeiten sind ganz neu, also 2023 oder sogar erst 2024 entstanden und alle Arbeiten sind als Öl auf Leinwand Arbeiten angelegt, auch wenn die Form der Arbeiten sich relativ unterschiedlich geriert.

Da wären zum einen Mitterers Flupes, ein sprachliches Amalgam aus „Fluid“ und „Stripes“, nach unten hin abgerundete Streifen mit unterschiedlichen farblichen Sättigungsgraden. Eine Arbeit in Blau-Tönen und eine in Gelb-Tönen. Ein Anhalten oder Innehalten und ein fließender Prozess, den natürlich auch die flüssige Ölfarbe bedingt, findet sich hier dargestellt. Gabi Mitterer bannt dabei ihre Flupes nicht nur auf Leinwand, beschreibt also mittels Pinsel ihre Umrisse und ihre Farbgebung, sondern lässt die Flupes auch direkt in den Raum finden: Bemalte Leinwandstreifen werden hintereinander gestaffelt und hängen, an einem Stab montiert, nach unten. Eine Dekonstruktion der ursprünglichen malerischen Idee.

Mit farblich fein abgestuften Streifen arbeitet Gabi Mitterer auch bei ihrer räumlichen Installation Interpolation. Farbwerte von Boden und Wand des sehsaals dienen der Künstlern für eine regelrechte maltechnische Untersuchung. In Form einer künstlerischen Alltagsanalyse lässt Gabi Mitterer auf Leinwand-Streifen, die sie rückseitig gestärkt hat, Farbverläufe entstehen, oder ob im digitalen Jargon zu bleiben: Sie rendert, pixelt, rechnet – dies jedoch alles mit dem Pinsel. Boden und Wand verschwimmen vor unseren Augen zu ein- und derselben Fläche. Die Fähigkeit, Farbe(n) zu sehen und diese dann in derartiger Perfektion auf einen Träger zu bringen und dabei gleichzeitig die Machart (und den Pinsel!) fast vollständig zu unterschlagen – das ist Gabi Mitterers Geheimrezept.

Bei der ausstellungstitelgebenden Arbeit plus minus imitiert Gabi Mitterer mit Grauschattierungen auf kleinen malerischen Körpern eine konkave bzw. konvexe Oberfläche. Erhabenheit und Tiefe bzw. eine Wölbung nach oben und nach unten wird bloß durch sorgfältigsten Farbauftrag erreicht. Verblüffend!

Ähnliches gelingt Gabi Mitterer auch bei ihren unspace-Arbeiten, die an die Form von Flugzeug-Fenstern erinnern (überflüssig zu sagen, dass das Fenster in der Malerei natürlich eine steinalte Tradition hat...): Wie in einer optischen Täuschung scheinen in diesen Schwarz-Weiß-Grauen Arbeiten Räume nach hinten geöffnet werden. Die Malerei als Fenster zu einer anderen Welt, genau genommen in den Weltraum, der uns hier geheimnisvoll und fremd anweht.

Es geht Gabi Mitterer um die Dekonstruktion des Tafelbildes, um die Erforschung eines Systems, das letztlich aus Farbenlehre und Sättigung, Bildbearbeitung und dem Wechsel von der analogen hin in die digitale Welt gespeist wird, jeden Tag, immer. GRAU – das ist für Gabi Mitterer der Nullpunkt, das ist der gemeinsame Nenner aller Farben und in seinen Schattierungen und Nuancen unendlich.

Eine technisch beindruckende Meisterinnenschaft und gleichzeitig eine Bescheidenheit und Klarheit im Blick und in der künstlerischen Umsetzung – was für ein Glück, was für ein Privileg den Blick auf die Welt mit dieser Künstlerin in Form ihrer Arbeit teilen zu dürfen. Und wenn es also bei Parrhasius der Vorhang war, der zur Seite geschoben wurde, so ist es bei Gabi Mitterer vielleicht das Fenster, an das man eilen möchte um hinaus zu schauen in eine Welt, die man noch nicht erblickt hat und in die uns nur die Malerei einen Ausblick gewähren kann.

Lisa Ortner-Kreil