Digitale Schatten
von Nina Schedlmayer
Glaubt man Plinius dem Älteren, so ist die Entstehung der Malerei einer gleichwohl romantischen wie tragischen Begebenheit zu verdanken. In seiner „Naturalis Historia“ erzählt er die Geschichte von einer jungen Frau, die den Schatten ihres Geliebten an der Wand festhält – kurz bevor dieser für immer entschwindet.
Jahrhunderte später schreibt der Kunsthistoriker Ernst Gombrich: „So sehr die Schatten nachweislich den simplen Gesetzen der Optik gehorchen, ihre Erscheinung hat dennoch etwas Flüchtiges an sich. Sie sind ein Teil unserer Umwelt, doch mal sind sie da, mal sind sie entschwunden und erweisen sich insgesamt als flüchtig und wechselhaft, wie jeder Maler weiß, der ihre Erscheinung auf die Leinwand zu bannen suchte.“[1]
Auf Leinwand oder Papier gebannt, manifestiert der Schatten umgekehrt den Realismus abgebildeter Objekte.[2] Wie er andererseits täuschen kann, zeigt sich nicht nur in Platons Höhlengleichnis, sondern auch in den beliebten Schattenspielen, bei denen etwa bellende Hunde mit den Händen nachgestellt werden.
Die Beziehung zwischen Gegenständen und ihren Schatten, zwischen Materiellem und Immateriellen ist also eine komplexe, die zwischen Sein und Schein schwankt und seit der Erfindung der Fotografie – die ja nichts als Schatten abbildet - vor allem den Umgang mit den sogenannten neuen Medien definiert.
Dass das fotografische Abbild nicht zwingend wahrheitsgetreu ist, allerdings aufgrund dessen Realitätsanspruchs umso leichter manipulativ eingesetzt werden kann, entdeckte man früh[3]. Vor allem die Computertechnologien haben allerdings die Manipulierbarkeit von Bildern erleichtert, legen sie sogar nahe – was dem Großteil der Medienkonsumenten auch bewußt sein dürfte[4]. So werden bereits im Fotolabor farblich missglückte Fotos korrigiert, Programme wie Photoshop retuschieren Gesichtsunreinheiten und sonstige Mißliebigkeiten. Oder errechnen per Mausklick Schatten und Schattierungen, die sich nicht einmal auf einen Gegenstand beziehen müssen, sondern einfach so vorhanden sein können. Schatten, die von nichts geworfen werden.
In ihren Serien „Shadings“ und „Waves“ malt Gabi Mitterer nach der Vorlage von digitalen Bildern in Rosa- und Blautönen Schattierungen, die aus dem Nichts zu kommen scheinen, in den unterschiedlichsten Verläufen: Diagonal- und Vertikal-, Horizontal- und Radialschatten. Wie der Schatten in der Naturalis Historia von Plinius ist der Schatten des Computers ein flüchtiger, die Realität seiner Bilder ist variabel: Je Einstellungen und Druckpapier sieht das am Ende analoge Bild jeweils anders aus, genauso wie der Schatten je nach Einfallswinkel und Projektionsfläche ein anderer ist. Trotz aller struktureller Unterschiede bestehen also gewisse Verwandschaften zwischen dem Schatten und dem digitalen Bild.
Die Schattierungen, die Mitterer in wochenlanger Arbeit auf die Leinwand bannt, können mit dem richtigen Computerprogramm innerhalb von Sekunden erzeugt werden, schnell und exakt. Exakter als dies in der Malerei möglich ist: Denn obwohl Mitterers Bilder aus der Ferne gesehen tatsächlich den Eindruck einer Computergrafik erwecken, zeigt sich doch bei näherer Betrachtung der handwerkliche Produktionsprozess in der haptischen Qualität des Anstrich - eine frecher Kommentar zur Untiefe des digitalen Bildes. Auch dessen exakt berechnete Pixel können und sollen in ihrer totalen Präzision von der Malerei nicht umgesetzt werden, sondern ironisieren sie eher. Deshalb spricht Mitterer auch von einer „Persiflage des digitalen Errechnens.“
Ähnliche Themen handelt Gabi Mitterer in ihren „LandShapes“ ab: Die Kompositionen aus zwei horizontal gegliederten Flächen (eine in grün, eine in blau) geben eine grobe Pixelung wieder, die sich ergibt, wenn ein computergeneriertes Bild immer wieder vergrößert wird. Kurze, breite, abgehackte Striche entsprechen einem Pixel, das eigentliche Motiv wird verschwommen und unklar, nur die Struktur tritt hervor. Obwohl es sich eigentlich schlicht um ein Raster handelt, kommt ein Publikum am Anfang des 21. Jahrhunderts nicht daran vorbei, das Bild von vornherein mit einer Computergrafik zu assoziieren – ebenso wie auch die anderen beiden Serien. Damit führt uns Mitterer vor, dass unsere Wahrnehmung nie autonom gedacht werden kann: Immer ist sie bereits bedingt durch unsere tägliche Medienrealität, und immer sehen wir auch das, was wir bereits wissen.[5]
Die Problematik der Relativität unserer Wahrnehmung und unserer Sehgewohnheiten hat die Kunst seit jeher durchdekliniert. Vielleicht ist sie heute mehr denn je aktuell. Und auch wenn wir das „wahre Bild“ nie erfassen können, so bleibt es unter anderem die Aufgabe der Kunst, immer wieder dazu Stellung zu beziehen. Gabi Mitterer, die sich zwischen dem alten Medium Malerei und neuen Computertechnologien bewegt, wirft dabei essentielle Fragestellungen auf.
Nina Schedlmayer (Katalogtext aus, "Verläufe – Gabi Mitterer", gugler forum melk 2005)
[1] Ernst H. Gombrich:“Schatten. Ihre Darstellung in der abendländischen Kunst“, Berlin 1996, S. 18.
[2] Siehe dazu: Gombrich S. 38.
[3] Beat Wyss erwähnt dazu etwa das Foto von Trotzkij und Lenin, das 1920 aufgenommen wurde und auf dem ersterer später wegretuschiert wurde. Beat Wyss:“Die Welt als T-Shirt. Zur Ästhetik und Geschichte der Medien“, Köln 1997, S. 55.
[4] „Inzwischen ist aber ein eigentliches ‚Photogate’ eingetreten: Die Fotografie ist als Lügnerin entlarvt, seitdem sie mit dem Computer zusammenarbeitet. Die vormalige Augenzeugin von Wirklichkeit hat sich von einem analogen Automaten zu einem digitalen Generator im Dienst der Simulation entwickelt“ (Wyss S. 55)
[5] So wurde etwa das Desaster von Nine eleven von vielen Kommentatoren und selbst von Leuten, die unmittelbar anwesend waren, durch die von Hollywood und CNN gefilterte Brille fast abstrakt, wie ein Film wahrgenommen. Umgekehrt verwies nicht nur Jean Baudrillard (in einem Vortrag im Wiener Volkstheater am 17.3.2002) darauf, dass die Terroristen auch auf die mediale Verwertung der Katastrophenbilder zielten – was nur bestätigt wurde von Karlheinz Stockhausens geschmackloser Ansicht, dass es sich bei der Attacke um „das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat“ handelt.