Geflechte.Netze.Fadenkreuz.
von Theresia Hauenfels
Zu den bemerkenswertesten Positionen des jungen, zeitgenössischen Kunstschaffens in Niederösterreich gehört Gabi Mitterer: Ihr Atelier befindet sich in einem Vierkanthof in Wolfsbach im Mostviertel, im November 2007 erhielt sie den Anerkennungspreis des Landes Niederösterreichs für Bildende Kunst. In breit angelegten Studien widmet sich Gabi Mitterer ihrem jeweiligen Thema, aktuell eine Serie von gemalten und gestickten Raumkonstruktionen in Schwarz/Weiß. Basis der formalen Idee ist die Übersetzung digitaler Strukturen in traditionellen Handwerk: mit Farbe oder Stickzwirn. Im Text zum Kulturpreis titelt die Kunsthistorikerin Silvie Aigner „Pinsel versus Pixel“. (Aigner 2007)
In einem Katalogbeitrag aus dem Jahr 2005 greift Nina Schedlmayer die Thematik auf: „Die Problematik der Relativität unserer Wahrnehmung und unserer Sehgewohnheiten hat die Kunst seit jeher durchdekliniert. Vielleicht ist sie heute mehr denn je aktuell. Und auch wenn wir das „wahre Bild“ nie erfassen können, so bleibt es unter anderem die Aufgabe der Kunst, immer wieder dazu Stellung zu beziehen. Gabi Mitterer, die sich zwischen dem alten Medium Malerei und neuen Computertechnologien bewegt, wirft dabei essentielle Fragestellungen auf.“ (Schedlmayer 2005, S. Vorwort - keine Seitenangabe im Katalog)
Auch Carl Aigner attestiert der Künstlerin, dass sie über die Reflexion der Sehgewohnheiten hinausgehend, grundsätzliche Fragen nach unserer Welt- und Bildwahrnehmung aufwirft: „Wie sehr neue Medien wie Computer und digitale Bildwelten die Malerei verändern, erweitern und transformieren, zeigen die Arbeiten der 1967 geborenen Gabi Mitterer, bei denen es um die Verschränkung von Analogem und Digitalem geht. Minutiös werden mit Computerprogrammen und deren Grundlagen „Bilder“ konstruiert, die mit dem Medium Malerei quasi „persifliert“ (Mitterer), rückübersetzt werden.“ (C.Aigner 2007, aus dem Buch: Mostviertel – Aus der Mitte heraus / Malerei nach 1945, S.112, 114)
Was in der Computerwelt den Bildaufbau generiert – Polygone und Dreiecke – wird zu Gitterstrukturen zusammengefügt. Geometrische Formen visualisieren den Raum bzw. schaffen neue, fiktive wie futuristisch anmutende Raumkonstrukte. Diese fordern die BetrachterInnen heraus, sich auf das optische Erlebnis einzulassen. Die Kulturwissenschafterin Anna Spohn sieht in den aktuellen Arbeiten einen neuen Ansatz, der über die konstruktivistische Strenge in den früheren Serien der Künstlerin hinausgeht: „Viele einst konkret arbeitende Künstler haben im Laufe ihres Schaffens begonnen bewusst intuitiv-sinnliches in ihre Kunst einfließen zu lassen. Gabi Mitterers Werke sind ein Beispiel dafür, und nicht umsonst kann insbesondere ihre Kunst als eine „Wissenschaft der Sinne“ bezeichnet werden.“ (Anna Spohn 2007)
Anknüpfend an die Traditionen konkreter Tendenzen, gehört Gabi Mitterer zu den aktuellen Positionen dieser Kunstrichtung, zu denen weiters u.a. Esther Stocker, Barbara Höller oder Sabine Hörtner zu zählen sind. Diese jüngere Generation setzt, so Silvie Aigner, verstärkt strukturelle Ordnungsmuster ein: gemeinsam ist ihnen die Reduzierung der Formensprache, der Hang zu seriellen Darstellungen sowie das Zurücktreten des individuellen Pinselduktus hinter homogenen Farbauftrag (Silvie Aigner 2006, S. )
Bislang in der österreichischen Kunstgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts meist unterschätzt, ist aktuell eine Fokussierung konstruktiver Kunst zu beobachten, die in Österreich von je eher neben der gestischen, expressiven Kunstform bestanden hat.
Das Spiel mit optischen Wahrnehmungen ist auch bei Gabi Mitterer zu beobachten, ebenso ein gewisser Hang zu Naturwissenschaften. Als „Messinstrumente“ (so Gabi Mitterer) setzt die Künstlerin bei ihrer aktuellen Serie der Netze ein ungewöhnliches Mittel ein: Klebebänder. Nina Schedlmayer schildert: „Ganze Türme von Klebebändern, in unterschiedlichen Breiten, Gewebearten, Klebestärken und Farben bauen sich in ihrem Atelier auf. Flach, flacher als die Leinwand selbst sind diese Klebestreifen, und Mitterer verwendet sie, um Tiefe und Raum zu suggerieren, zu simulieren.“ (Schedlmayer 2006, S. Folder Artothek – keine Seitenangabe) Auf die Leinwand angebracht, dienen die Klebebänder als Schablone. Nachdem die Leinwand möglichst zügig mit Schwarz bemalt wurde, werden die Bänder wieder abgezogen und die weißen Linien treten zu Tage. In gewisser Weise erinnert die technische Vorgangsweise an das Konzept des Fotogramms. Wenn die Künstlerin das Klebeband zum „Messinstrument“ erhebt, unterwandert sie dennoch strikte Maßeinheiten. Anna Spohn merkt bei den formal ähnlichen, jedoch viel stärker organisch anmutenden Stickereien, die in Umkehrform Schwarz auf Weiß abgebildet sind, an: „Ein streng konstruktivistisch denkender Rezipient würde beim Betrachten der Arbeiten nach den Regeln zur Umsetzung dieser Gestaltungsmittel im Bildwerk suchen, nach dem Prinzip das die Stichlänge und somit die Größe der Dreiecke bestimmt, nach einer nachvollziehbaren Begrenzung der Figur. Mitterer aber bricht nicht nur ein Reglement, sie stellt erst gar keines auf. Und wenn nun die Gestalten die sie uns vorlegt an evolutionär Entstandenes erinnern, tun sie dies zu Recht.“ (Spohn 2007, S.) (Text zur Werkpräsentation spaces in frames – gabi mitterer - für die Bewerbung zum Kulturpreis des Landes Niederösterreich 2007 – keine Seitenangabe)
Das Technoide tritt in den Hintergrund gegenüber organischen Formen. Die Feinheit der Netze zeigt konzentriertes Arbeiten in einer alten Handwerkstechnik. Zugleich weisen die amorphen Raumkörper, die in Zwirn entstehen, ein raffiniertes Formenrepertoire auf. Gerade dieses ist die Stärke der Arbeit von Gabi Mitterer. Die Variation birgt erstaunliche Morphings, die durch die gleich bleibende technische Konstante der Umsetzung eine serielle Produktion erzeugt. Im Gegenüber von Tafel- und Stickbild zeigt sich die Umkehrung von hervor- und zurücktretenden plastischen Formen: einmal ist die Linie weiß, einmal schwarz. Mit diesem Kunstgriff entwickelt Gabi Mitterer nicht allein innerhalb der Werkserie Formverwandtschaften, sondern setzt auch unterschiedliche Serien in Verbindung zu einander. Im Zusammenspiel der Medien birgt sich ein Reichtum an Mustern, die durch ihre Variabilität aber auch die Stringenz der Konzeption eine außergewöhnliche Formensprache repräsentiert.
Theresia Hauenfels (Auszug aus der Publikation, "Raum:Konzepte", Praesens Verlag, 2008)